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    Beim autonomen Fahren spielen für Daimler Trucks die Industriepartner eine wichtige Rolle. Ein Interview.

    Daimler Trucks schaltet beim Thema autonomes Fahren nach SAE-Level 4 einen Gang hoch. Ausgehend von einer erfolgreichen Partnerschaft mit Torc Robotics bündelt der global führende Nutzfahrzeughersteller weitere Kräfte. Zudem verkündete Daimler Trucks eine umfangreiche, global ausgerichtete strategische Partnerschaft mit Waymo. Außerdem hat Daimler Trucks eine Partnerschaft mit Lidar-Spezialist Luminar Technologies, Inc. geschlossen. Zur Stärkung dieser hat Daimler Trucks auch eine Minderheitsbeteiligung an Luminar erworben.


    Deutlich wird, dass Industriepartner beim Thema autonomes Fahren eine wichtige Rolle spielen. Thomas Rohde und Frank Hermes, Einkaufsexperten für automatisiertes Fahren bei der Daimler Truck AG, geben Einblicke in die Zusammenhänge. 

    Thomas Rohde (links) und Frank Hermes, Einkaufsexperten für automatisiertes Fahren bei der Daimler Truck AG, im Online-Interview.

    Daimler Supplier Magazine Redaktion: Herr Rohde, Herr Hermes – beim Thema autonomes Fahren nach SAE-Level 4 tut sich bei Daimler Trucks ja immens viel. Was ist eigentlich das Ziel?


    Thomas Rohde: Daimler Trucks arbeitet intensiv am CO2-neutralen, autonomen und vernetzten Fahren. Diese wichtigen Technologien bringen wir möglichst marken, sparten- und regionenübergreifend in Serie. Damit kommen wir unserer Vision vom CO2-neutralen Transport und vom unfallfreien Fahren einen großen Schritt näher und tragen zur Nachhaltigkeit im weltweiten Waren- und Personenverkehr bei.


    Frank Hermes: Beim autonomen Fahren ist es unser Ziel, im Laufe dieser Dekade SAE-Level 4-Lkw in Serie zu bringen – seriennahe Fahrzeuge dürften natürlich schon deutlich vorher auf Nordamerikas Straßen zu finden sein. Wir sind bereits seit Längerem mit unseren Prototypen auf öffentlichen Straßen unterwegs und derzeit wird bereits die zweite Generation der Testflotte aufgebaut. 


    Sie beide sind im Einkauf angesiedelt. Auf den ersten Blick denkt man: Welche Rolle spielt Procurement beim autonomen Fahren?


    Thomas Rohde: Eine derart komplexe Technologie, wie es das autonome Fahren nach SAE-Level 4 darstellt, stemmt man nicht mehr alleine, wenn man im gesetzten Zeitraum ans Ziel kommen möchte. Beim autonomen Fahren nach SAE-Level 4 bauen wir auf starke Industriepartner, welche dieser Technologie wichtige Umfänge zusteuern. Wir im Daimler Nutzfahrzeugeinkauf bilden hier eine zentrale Schnittstelle zu Lieferanten und anderen Beteiligten aus der Industrie.



    Herr Rohde, Sie sind der Global Lead Buyer für das Thema Automated Driving. Was machen Sie in dieser Funktion?


    Thomas Rohde: Bereits heute setzen wir bei Daimler Truck in unseren Fahrzeugplattformen Fahrerassistenzsysteme bzw. -komponenten ein. Damit realisieren wir das automatisierte Fahren der Stufen 1 und 2, also assistiertes und teilautomatisiertes Fahren. Die damit verbundenen Einkaufsaktivitäten für die Komponenten werden im Rahmen des Global Lead Buying bei uns im Team koordiniert.


    Da wir so auf einem starken internen und externen Netzwerk und existenten Strukturen aufsetzen können, ist das Team auch für den Einkauf der Sensorik für das autonome Fahren nach SAE-Level 4 zuständig. Die Sensorik umfasst alles, was mit der Fahrzeugumgebung zu tun hat. Hier sprechen wir beispielsweise von Themen wie Lidar, also der dem Radar verwandten Methode zur laserbasierten Abstands- und Geschwindigkeitsmessung. Man kann auch sagen „das Auge“ des automatisiert fahrenden Trucks…


    Frank Hermes (ergänzt den Satz seines Kollegen): … und wenn bei Thomas alle Themen rund um „das Auge“ zusammenlaufen, dann bin ich für das Fahrzeugchassis zuständig – also den „Körper“ (lacht). Auf der nordamerikanischen Seite von Daimler Trucks bin ich der einkaufsseitige Ansprechpartner für das redundante Chassis. Das bedeutet, dass das Fahrzeug den gesteigerten Anforderungen an das autonome Fahren gerecht wird. 



    Ein Beispiel für die genannten gesteigerten Anforderungen an das Chassis beim autonomen Fahren nach SAE-Level 4?


    Frank Hermes: Beim autonomen Fahren kommt dem Thema Sicherheit eine besondere Bedeutung zu. Im Zuge des autonomen Fahrens nach SAE-Level 4 gilt es, Systeme mehrfach abzusichern, damit beim Ausfall einer Komponente die andere den Dienst gewährleisten kann. Das Ziel: Der Truck kommt im Fall eines Fehlers sicher zum Stehen. Die Fahrer heute fahren ebenfalls rechts ran, wenn der unwahrscheinliche Fall eines Fehlers auftritt.  Um dies zu gewährleisten, muss beispielsweise beim Ausfall einer Stromversorgung ein anderer Versorger die Last übernehmen. Das Energie-Management ist daher ein Thema, dem wir beim autonomen Fahren besonderes Augenmerk widmen.

    Um in der Analogie zu bleiben: ‚Auge‘, ‚Körper‘ – sind unsere Partner Torc und Waymo dann das zentral lenkende ‚Gehirn‘?


    Thomas Rohde: Ja, so kann man das sagen. Um unser anspruchsvolles Ziel, bis zum Ende der Dekade hochautomatisierte Lkw der SAE-Stufe 4 in Serie auf die Straße zu bringen, zu erreichen, bauen wir auf die Zusammenarbeit mit den Besten der Industrie. Da, wo anderen mehr Erfahrung und Expertise haben, ist das sinnvoll. Und es ist einfach evident, dass Partner wie Torc und Waymo in Bezug auf den softwarebasierten „virtuellen Fahrer“ ein immenses Know-how haben, von dem wir gemeinsam profitieren können. Nicht zuletzt kommt es ja auf ein bestfunktionierendes „Gehirn“ an, um die Funktion und auch die Sicherheit des Systems zu jedem Zeitpunkt zu 100 % zu gewährleisten. 

    Noch einmal auf das Thema Zielerreichung eingehend: Was bringt ein Industriepartner – sei es in der Funktion einer Kooperation oder einer Zulieferung – beim Thema autonomes Fahren idealerweise in eine Zusammenarbeit mit ein?


    Frank Hermes: Da kommt mir als erstes Agilität in den Sinn. Wir betreten beim Thema autonomes Fahren ja oftmals unbekanntes Terrain. Alle Projektpartner müssen daher schnell denken und handeln. Das schließt auch ein, dass man dann auch manchmal umdenken muss, wenn etwas nicht wie geplant funktioniert. 


    Thomas Rohde: Generell benötigen wir eine größere Bereitschaft, potenzielle Risiken in der Entwicklungsphase gemeinsam zu tragen. Wenn man neue Wege beschreitet, können auch unbekannte Hindernisse auftauchen. Diese muss man dann gemeinsam meistern, auch wenn es mehr Energie als ursprünglich geplant kostet.



    Welchen Vorteil hat denn ein Industriepartner, wenn er mit uns am autonomen Fahren zusammenarbeitet?


    Thomas Rohde: Ich sehe das klar als klassische Win-win-Situation. Daimler Trucks ist einer der ersten OEMs, der das autonome Fahren im Fernverkehr realisieren will. Wer hier von Anfang an dabei ist, erschließt sich ein enormes Zukunftspotential. 


    Frank Hermes: Wir arbeiten beim autonomen Fahren in einem Spannungsfeld der Kosten versus Stückzahlen. Die Kosten werden sinken, wenn die Stückzahlen steigen. Daimler Truck investiert hier in hohem Maße, um die Technologie zum Erfolg zu bringen. Von starken Industriepartnern, die sich mit uns auf die autonome Reise begeben möchten, erwarten wir ebenfalls ein ausgeprägtes Engagement. 

    Weitere Informationen zum Thema 

    Daimler Trucks Autonomous Technology Group: Kompetenzzentrum für autonomes Fahren

    Nach Daimler Trucks Ankündigung auf der Consumer Electronics Show (CES) 2019, mehr als 500 Millionen Euro in autonomes SAE-Level-4-Fahren zu investieren, gründete der Lkw-Hersteller im Juni 2019 die Autonomous Technology Group als globale Organisation für autonomes Fahren. Alle weltweiten Kompetenzen und Aktivitäten, inklusive die von Torc und Daimler Trucks North America, werden darin gebündelt. Die zentralen Aufgaben der Einheit umfassen die Gesamtstrategie für autonomes Fahren und deren Umsetzung, einschließlich Forschung und Entwicklung sowie Aufbau der erforderlichen Infrastruktur samt Netzwerk für den operativen Fahrzeugeinsatz. Zu den Entwicklungsstandorten der globalen Organisation zählen heute unter anderem Portland, Madras und Blacksburg (alle in den USA) sowie Stuttgart.

    Partnerschaft mit Torc Robotics

    Daimler Trucks und Torc arbeiten bereits seit Frühjahr 2019 zusammen. Seit September 2019 ist das US-Unternehmen Teil der Autonomous Technology Group von Daimler Trucks. Ziel der Partner ist, autonome Lkw (SAE Level 4) im Laufe der Dekade in Serie auf die Straße zu bringen. Die Kombination der Stärken von Daimler Trucks und Torc ergibt eine einzigartige Partnerschaft: Daimler Trucks bringt bei der Erprobung und Validierung sicherer Nutzfahrzeuge viele Jahrzehnte Erfahrung mit. Gleichzeitig zählt Torc zu den weltweit erfahrensten Unternehmen im autonomen Fahren – mit hoch entwickelter, straßentauglicher Technologie sowie jahrelanger Expertise bei schweren Nutzfahrzeugen. „Asimov“, Torcs System für autonomes SAE-Level-4-Fahren, wurde bereits im Stadt- sowie Überlandverkehr, bei Regen, Schnee, Nebel und bei unterschiedlichsten Lichtverhältnissen erprobt.

    Partnerschaft mit Waymo

    Daimler Trucks und Waymo haben im Oktober 2020 eine umfangreiche, global ausgerichtete strategische Partnerschaft beim autonomen Fahren (SAE Level 4) geschlossen. Waymo und Daimler Trucks wollen mit autonomen Lkw sowohl die Verkehrssicherheit als auch die Produktivität von Flottenkunden verbessern. Als Auftakt der Zusammenarbeit kombinieren die Partner Waymos führende Technologie beim autonomen Fahren mit einer speziell für diesen Einsatz entwickelten Variante des Lkw-Modells Freightliner Cascadia von Daimler. 

    Minderheitsbeteiligung an Lidar-Spezialist Luminar Technologies, Inc

    Ziel der im Oktober 2020 geschlossenen Partnerschaft ist es, autonome Lkw (SAE Level 4) in Serie weltweit auf die Straßen zu bringen. Der Fokus liegt zunächst im Fernverkehrseinsatz auf US-Highways. Die Experten von Daimler Trucks, der US-amerikanischen Tochter Daimler Trucks North America (DTNA) und Torc Robotics sowie die Experten von Luminar arbeiten eng zusammen, um Luminars Lidar-Technologie für entsprechend hohe Geschwindigkeiten weiterzuentwickeln. Dies betrifft insbesondere die Objekterkennung, die entsprechende Datenverarbeitung sowie die Leistung des gesamten Systems. Zur Stärkung der Partnerschaft hat Daimler Trucks eine Minderheitsbeteiligung an Luminar erworben.